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Bekanntlich fallen in Frankfurt hin und wieder Schüsse. Die Mehrzahl der Treffer konzentriert sich eindeutig im Bahnhofsviertel. Museen und andere Bildungsinstitute gerieten bislang nicht unter Feuer. Jedenfalls nicht bis letzten September 1991. Am frühen Morgen des 12.09.1991 sperrten Polizeikräfte die Passage zwischen Nikolaikirche und Historischem Museum hermetisch ab, ein uniformierter Präzisionsschütze legte an, zielte und zog zweimal kurz nacheinander durch. Seither sitzen in der Glasfront des Museums zwei Einschusslöcher in genau berechnetem Abstand voneinander und exakt auf Kopfhöhe. Wer sich hinter eine der Scheiben stellt (der Bereich ist öffentlich zugänglich), kann sich für Augenblicke recht intensiv vorstellen, dass die horizontale Schussbahn mitten durch die eigene Stirn hätte verlaufen können, bevor das Projektil im rechten Winkel auf die rückwärtige Wand aufschlug. Eine Vorstellung, die vorübergehend ein durchaus intensives Existenzgefühl vermittelt: Dergleichen Schussbahnen ziehen auf diesem Globus unentwegt kurzlebige Kurven und Linien durch den leeren Raum und kreuzen dabei häufig bewegliche Ziele.
Die Partitur zu dieser Aktion hat Ottmar Hörl verfasst, ein Bildhauer und Fotokünstler, der – rein privat – ein Mensch von entwaffnender Antimilitanz ist; seine künstlerischen Konzepte enthalten aber immer wieder gewaltförmige Elemente. Die beiden Schüsse im Morgengrauen haben den Raum gezielt strukturiert (wenn solche Überlegungen für einen Moment gestattet sein sollen): Zwei parallele Bahnen von höchster Energie zielten mit 90 Grad auf Glas und Wand - sie waren real und körperlich existent, wenn auch nur für Sekundenbruchteile, um dann sofort nur noch gedachte Linien zu sein. Das ist in etwa die Lesart, die Hörl selbst favorisiert.
Es gibt eine andere, die mehr die politische Metaphorik als die formalen Aspekte in den Vordergrund rückt – und sie erscheint unmittelbar plausibel. Zwei Schüsse in Kopfhöhe auf die Vorderfront eines Museums sind ein ebenso entschiedener wie koketter Kommentar zu dem Ansinnen, „Kunst im öffentlichen Raum“ abzuliefern - sie sind Einwilligung und Verweigerung zugleich. Und sie sind letzte Worte (sprachlos, aber deutlich) über eine Politik, die die Kunst der Gegenwart vorrangig als Faktor der Umwegrentabilität für das Image des Dienstleistungsstandortes kalkuliert, um dann die Plätze und Parks der Städte fast ausnahmslos mit mediokren, gleichwohl materialaufwendigen wie kostenträchtigen künstlerischen Produkten zu dekorieren wie eine gute Stube mit allerlei Nippes. Allein derlei Kunst hat sich bislang als mehrheitsfähig erwiesen. Zwei Schüsse in Kopfhöhe stellen also einen durchaus kulturpolitischen Sachverhalt dar. Sie waren, nebenbei bemerkt, sowohl kostengünstig als auch äußerst sparsam im Materialverbrauch. (Manfred E. Schuchmann)
Text: Dr. Manfred Schuchmann, in: "Frankfurter Rundschau: Gesten gegen die falsche Versöhnung" vom 16.11.1991
Fotos: Wolfgang Guenzel